Gedanken zum Trans Day of Visibility

Ich wollte heute ein Bild posten

Von meinem Oberkörper, ohne T-Shirt, mit OP-Narben. Weil heute Trans Day of Visibility ist und ich Wochen nach meiner Mastektomie gestern endlich alle Pflaster losgeworden bin. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr möchte ich mir anziehen, mich in eine dunkle Ecke zurückziehen und mich unter 30 Decken vergraben, bis das Licht diesen Tag wieder verlassen hat.

Es ist kein Grund zum Feiern, dass mehrere Jahre mentaler Ressourcenverbrennung endlich ihr Ende gefunden haben. Dass ich es durch das deutsche Gesundheitssystem geschafft habe und nur mit einem blauen Auge namens Zwangspathologisierung als »gestört« (F64.0) davongekommen bin. Es ist ein Trauerspiel. 

Momentan ist eine Phase, in der ich mich, mit Ausnahme von transphilosophisch, wo es in ein verlässlich aufbauendes freundschaftliches Gespräch eingebettet ist, nicht viel mit dem politischen Thema trans beschäftige. Das Privileg der Pause, das ich mir in Anbetracht einer Pandemie und den letzten Jahren Rechtfertigungsmarathon erlaube.

Wer mich kennt, weiß, dass mein Rechtfertigungszwang in Grübelschleifen ohnehin schon Grundrauschen in freundschaftlichen, beruflichen und so ziemlich allen Belangen ist. Let me tell you, es ist anstrengend genug.

Was für ein kräftezehrendes Unterfangen es dann ist, von staatlicher und gesellschaftlicher Seite ständig das Gefühl oder die tatsächliche Forderung herangetragen zu bekommen, sich zu äußern, zu erklären und zu erzählen, fällt mir schwer in Worte zu fassen. Es zerreißt mich ständig, dass meine bloße Existenz ein Politikum ist. Ich habe eine regelrechte Aversion gegen das Wort »Betroffene*r« entwickelt.

Denn ich muss gestehen, es macht mich krank. Ein Tag wie heute bedeutet morgens schon Bauchschmerzen, geweint habe ich heute auch schon. Aus purer Überforderung. In Ungarn werden trans Menschen Grundrechte versagt. In den USA werden rückschrittliche Gesetze gegen trans Kinder und Jugendliche im Sport verabschiedet, in Groß Britannien bekommen transfeindliche Frauenrechtskämpfer*innen zunehmend Zuspruch, und wenn uns die Geschichte eins gezeigt hat, dann, dass aus dem englischsprachigen Raum die politischen Trends nach Deutschland schwappen. I can’t take it all in these days. 

Und doch, eine Opferhaltung werde ich nicht einnehmen. Ich tue, was nötig ist, um als ich zu leben, aber ich weigere mich, Opfer zu sein und ich weigere mich, die Zustände als richtig hinzunehmen. Es bedeutet, dass ich mit der Mastektomie bereits begann mein Verteidigungstraining zu planen, da ich auch ohne Brüste noch gern Nagellack trage. Vielleicht rosa Röcke, Kleider, Glitzer, Make-Up. Worauf ich eben gerade Lust habe. Ich werde tragen, worauf ich eben gerade Lust habe. Zur Not so lang mit vorsorglich geballten Fäusten, bis ich nicht mehr damit rechnen muss, dafür auf dem Kotti angespuckt oder verprügelt zu werden.

Trans Day of Visibility, ein Tag, an dem trans Menschen auch mal dürfen. An dem die »politisch wirklich wichtigen Dinge« einen Funken, nein, ein Fünkchen Aufmerksamkeit abgeben. Ich möchte nicht zu zynisch werden, denn meine Solidarität gilt allen, die sich über den heutigen Tag freuen, sich täglich einsetzen, stolz sind und denen, die bereits vor Jahrzehnten als Kämpfer*innen für trans Rechte in die Geschichte eingegangen sind. I stan.

Aber ich möchte heute nicht als trans Person sichtbar sein. Wenn ich als Rick sichtbar sein will, dann werde ich schon dafür sorgen, dass man mich sieht. Ich will, dass das Thema Transrechte sichtbar ist, dass Ungerechtigkeit wie das Transsexuellengesetz als solche sichtbar gemacht wird, dass Transfeindlichkeit in Medien, Bürokratie und Unternehmensstrukturen als solche sichtbar gemacht wird. Es muss gehen, ohne dass ich mich ausziehen muss, egal ob im übertragenen oder buchstäblichen Sinne. Und ohne designierten Tag.

Als ich meiner Therapeutin nach meiner Operation erzählte, dass ich als trans Person hin- und hergerissen sei zwischen der gefühlten Verpflichtung zur Sichtbarkeit aus politischen Gründen und Unsichtbarkeit für mehr Lebensqualität und dass ich es ungerecht finde, dass meine Lebensgeschichte scheinbar beinhaltet, diese Gewissensfrage 24/7 mit mir herumtragen zu müssen, sagte sie: »Vielleicht sind Sie jetzt nicht mehr trans. Sie sind einfach Rick.«

Das hat gesessen. Und auch wenn das seit Jahren als Selbstbezeichnung (I’m a Berlin-based Rick) so auf meiner Website steht, hatte ich vergessen, dass trans auch nur eine Zuschreibung von außen ist, die ich angenommen hatte, um anderen mein Sein zu erklären. Dabei ist mir mein Name Label genug. Es ist drin, was draufsteht.

Ich werde den Begriff trans weiterhin politisch nutzen. Und er wird Teil meiner Biografie bleiben. Ich werde ihn wie einen Pin in meiner Schmuckkiste behalten, und ihn, wenn mir danach ist, tragen.

Labels are for products. Lebt euer Leben.

– Rick, 31.03.2021

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